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Was verstehen wir unter Pranayama im Yoga?
Jetzt noch schnell in den Kopfstand. Mal schauen, ob das die „Nachbarmatte“ auch so gut kann wie ich. Bei uns im Westen wird Yoga oftmals nur als Körperübung angesehen, um damit den Rücken zu stärken, eine höhere Fitness zu erzielen oder eine bessere Flexibilität zu erlangen. Ist das wirklich alles, was Yoga verkörpern möchte?
Wenn wir uns mit unserer Atmung auseinandersetzen und uns mit Pranayama beschäftigen, öffnen sich neue Türen des Empfindens und die eigentliche Reise auf dem Pfad des Yoga beginnt. Eine Unterrichtsstunde wird erst dann zur Yogastunde, wenn Pranayama-Übungen (Atemübungen) die Stunde beginnen lassen und auch wieder damit endet. Hier liegt einer der Unterschied zur reinen Fitness. Wir möchten über den Atem mehr über uns erfahren – tiefer eintauchen.

Wo hat die Atemtechnik ihren Ursprung?
In den alten indischen Schriften, den Veden, wird Pranayama übersetzt mit Prana = Lebensenergie und Yama = Kontrolle, die über die Atmung hinausgeht. Die Atmung ist dabei ein sehr vielseitiges Instrument. Sie unterstützt uns beim Entspannen, sie versorgt unseren Körper mit Sauerstoff und Energie, sie ist der Schlüssel und das Bindeglied zwischen Körper, Geist und auch unserer Seele. Über die Atmung können wir unseren Geist zügeln, und unsere Gedanken zur Ruhe kommen lassen.
Nach einem indischen Gelehrten, Patanjali, welcher der Legende nach im 4. Jahrhundert nach Christus gelebt haben soll, kommt Pranayama eine ganz besondere Rolle zu. Er beschäftigte sich mit den Möglichkeiten die Herrschaft über den eigenen Geist zu erreichen, um Erleuchtung zu erfahren. Häufig wird er als Vater des Yoga bezeichnet, da seine Niederschriften bis heute eine der wichtigsten Grundlagen des Yoga sind.
Die ersten fünf Glieder seines achtgliedrigen Pfades werden auch als Kriya-Yoga (praktischer Yoga) bezeichnet und die letzten drei (Dhãranã, Dhyãna, Samãdhi) als Raja-Yoga (königlicher Yoga – Macht über den Geist).

Der achtgliedrige Pfad auf einen Blick aus Sicht des praktizierenden Yogis.
1. Yamas – Wie gehe ich mit meiner Umwelt um
2. Niyamas – Wie gehe ich mit mir selbst um
3. Asanas – Wie stärke ich meinen Körper
4. Pranayama – wie arbeite ich mit meinem Atem
5. Pratayahara – Wie kann ich meine Sinne zurückziehen
6. Dharana – Wie erreiche ich eine Fokussierung und Konzentration
7. Dhyana – wie meditiere ich
8. Samadhi – Wie gewinne ich eine Verbindung mit meinem höchsten Selbst

Atemtechniken helfen uns diese höheren Stufen des 8-Gliedrigen Pfades zu erreichen. Erst über das Pranayama können wir Schritt für Schritt zu tieferen Meditationen gelangen. Für viele Einsteiger im Yoga ist das erste bewusste Atmen ein erster, neuer und wichtiger Schritt in Richtung Achtsamkeit und Körperwahrnehmung.
In den ersten Anfängerstunden beginne ich gerne mit einer kleinen Geschichte aus einem Workshop mit dem von mir sehr geschätzten Yogalehrer Shribhyshyam (Sohn des Yogameisters Sri Krishnamacharya). Mit einem Schmunzeln sagte er uns, dass wir mit jeder Yogastunde unser Leben verlängern. Durch die Symbolik wollte er uns vermitteln, dass wir über die bewusste Atmung unsere Lebensenergie lenken und mittels der Techniken des Pranayama lernen können sanfter und länger zu Atmen. Auch gab er uns den Gedanken mit, dass wir zum Zeitpunkt unserer Geburt ein Geschenk erhalten – eine Schatztruhe voller Atemzüge. Vergleichbar mit einer Akkubatterie die vollständig aufgeladen ist. An uns liegt es nun, wie achtsam wir mit unserem Schatz umgehen, das heißt wie schnell wir ihn verbrauchen. Unser hektischer Alltag trägt hier im Westen nicht immer dazu bei, Achtsamkeit zu leben. Yoga möchte uns immer wieder neue Impulse geben zu entschleunigen. Pranayama gibt uns die Möglichkeit Körper, Geist und Seele in Einklang zu bringen. Um es in der Yogasprache auszudrücken, hilft uns Pranayama, unsere wahre Natur zu entdecken und den Schleier der Illusion zu entlarven. Mit Schleier meinen wir die äußeren Einflüsse, die uns ablenken und unseren Blick auf das Wesentliche verblenden.
Der Atem des Lebens – von der unwillkürlichen Atmung zur bewussten Atmung
Auf wundersame Weise sorgt unser Gehirn dafür, dass wir ohne dass wir einen Gedanken darüber verschwenden müssen, regelmäßig ein- und ausatmen. Auf körperlicher Ebene führen wir damit dem Körper und jeder einzelnen Körperzelle Sauerstoff zu und mit der Ausatmung bauen wir verbrauchte Energie wieder ab. Durchschnittlich atmet der erwachsene Mensch 12-18 Mal in der Minute.

Welchen Fehler machen wir gerne im Alltag?
Unser Atem ist wie ein Seismograph im Körper. Falsch ist unsere Unachtsamkeit und fehlende Körperwahrnehmung. Unser Atem passt sich den Situationen des Alltags unmittelbar an. Bei Anstrengung ist er aktivierend, schneller und kraftvoller. In diesem Moment möchte er dem Körper viel Energie zuführen, damit jede Körperzelle gut versorgt ist. Bei innerer Anspannung und Nervosität atmen wir plötzlich sehr flach, wir sind in Alarmbereitschaft und sehr sensitiv. In diesen Situationen wird aufgrund der Anspannung nicht mehr tief geatmet. Eigentlich müssten wir jetzt tiefer atmen, um wieder ruhiger zu werden. Diese Erkenntnis nutzen wir im Yoga in dem Wissen und nehmen bei Atemübungen ganz bewusst Einfluss auf unseren Atem. Wir lassen ihn langsam fließen, werden jedem Atemzug gewahr und reduzieren die Atmung auf bis zu 10 bis 12 Atemzüge in der Minute. Geübte Yogis atmen vielleicht sogar nur 5 bis 8 Mal in der Minute. Ziel ist es den Atem zu vertiefen. Nur so kann Raum geschaffen werden für neue, frische Energie – die Einatmung. Dabei konzentrieren wir uns auf den Raum der Stille zwischen den Atemzügen.

Wie kann ich Pranayama am besten in meinen Alltag integrieren?

Einsteigern empfehle ich immer das 1-Minute-Tool öfter am Tag einzusetzen. Zählen Sie einfach bis 6 oder 8, also einatmen 1, ausatmen 1, einatmen 2 und ausatmen 2 usw. Wichtig ist, dass Sie in dieser Zeit wirklich unsere Aufmerksamkeit auf dem Atem lenken. Das ist ein riesengroßer Schritt für viele Menschen, obwohl es nur ca. 1 Minute dauert. Denn in dieser Minute tricksen wir unseren Geist ein wenig aus. Durch das Zählen und die gezielte Wahrnehmung, finden andere Gedanken keinen Raum mehr. Wir sind völlig im hier und jetzt. Diese kleinen, regenerativen Atempausen kann ich nahezu überall einsetzen, zum Beispiel in der Warteschlange an einer Kasse oder vor der roten Ampel.

Eine andere Übung ist die Bauchatmung. Sie ist am Einfachsten durchzuführen, wenn wir uns für 5 bis 10 Minuten in eine bequeme Rückenlage legen. Die rechte Hand legen wir auf dem Bauch sanft ab und versuchen in den Bauch hinein zu atmen. Jetzt spüren wir wie die Hand sich mit der Einatmung hebt und mit der Ausatmung wieder senkt. Dabei versuchen wir ein wachsamer, entspannter Beobachter zu sein. Atmen wir länger ein oder aus? Vorm zu Bett gehen ist diese Atemübung eine sehr gute Möglichkeit ausgeruht in den Schlaf zu gleiten.
Häufig wird in Yogastunden die Wechselatmung praktiziert. Ziel ist es, die Energien in unserem Körper wieder in Harmonie und Balance zu bringen. Ist zu viel Energie da, gefühlt stehen wir „unter Strom“ dann werden wir ruhiger und entspannter. Ist zu wenig Energie da, gefühlt sind wir „niedergeschlagen“ hilft sie uns neue Energie zu aktivieren. Auf energetischer Ebene reinigt sie die Energiebahnen (Nadis) und lässt die Lebensenergie wieder frei fließen.

Nach Krishnamacharya ergeben bei der Wechselatmung zwei Atemzüge eine Runde (links einatmen, Atem halten, rechts ausatmen, rechts einatmen, Atem halten, links ausatmen) und damit dieses Pranayama irgendeinen Wert hat, ist ein Minimum von 4 Runden oder 16 Atemzügen erforderlich.
Die Wechselatmung hilft außerdem die Lungenkapazitäten zu erhöhen. Die Atmung wird über das zählen der Länge des Atemzuges und die Konzentration auf den Atem unter Kontrolle gebracht. Wir atmen ausschließlich durch die Nase ein und aus und bringen damit unsere Energie in Balance.
Also denken Sie an die Schatztruhe mit kostbaren, limitierten Atemzügen, und probieren Sie es doch einfach mal mit Pranayama. Sie werden es nicht bereuen.

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